Swetlana Gerner
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it's raining men!

Memento, 2024, 100x80 Acrylic, Canvas © Marco Pallaoro Photography 123
Daniel (Richter) in der Löwengrube, 2023, 80x100 Acrylic, Canvas © Marco Pallaoro Photography
Ganimed, 2024, 100x80 Acryli
© Marco Pallaoro Photography
2024, Amphibia, 100x80 Acryl, Leinwand
© Marco Pallaoro Photography
Ikarus, 2024, 100x80 Acrylic, Canvas
© Marco Pallaoro Photography
Ikarus, 2024, 60x80 Acrylic, Canvas
Adam‘s Apple, 2023, 80x60, Acrylic, Canvas
Dädalus ist ein brillanter Erfinder, Techniker, Baumeister und Künstler. Mit seinem jungen Sohn Ikarus wird er von König Minos im Labyrinth des Minotaurus auf Kreta gefangen gehalten; eine Flucht scheint unmöglich, da Minos alle Seewege unter Kontrolle hält: Dädalus war umschlossen vom Meer. „Mag Länder er sperren und Wogen“, sprach er, „der himmlische Raum ist frei. Dort wollen wir ziehen. Sei er von allem der Herr – nicht Herr der Lüfte ist Minos.“
Daidalos sprach’s, und richtend den Geist auf neue Erfindung, ändert er schlau die Natur. (Ovid, Met. VIII 185–189)Wie die Geschichte weitergeht, ist kein Geheimnis: Dädalus und Ikarus wagen die Flucht – dank des Erfindergeistes des Vaters, der Vogelfedern mit Wachs an einem Gestänge befestigt. Vor dem Start schärft der Vater dem Sohn ein, ja nicht zu hoch und auch nicht zu tief zu fliegen, da sonst die Hitze der Sonne bzw. die Feuchte des Meeres zum Absturz führen würde. Nach einer Weile aber fliegt Ikarus zu nahe an die Sonne, das Wachs schmilzt, er stürzt ins Meer und ertrinkt.Der Ikarus-Mythos wird im Allgemeinen so gedeutet, dass Absturz und Tod des Übermütigen die Strafe der Gött:innen für seinen unverschämten Griff nach der Sonne ist. Es geht also um Hybris – darum, dass der Mensch versucht, sowohl Gött:innen als auch die Natur zu überlisten bzw. zu übertreffen. Ovid nennt Dädalus „opifex“, in Analogie zum Schöpfer der Welt.Der Flug übers Meer bleibt nicht unbemerkt: „Die [Dädalus und Ikarus] sah einer, während er mit zitternder Rute die Fische fängt, oder ein Hirte auf den Stab oder ein Pflüger auf die Pflughalterung gestützt und geriet in Staunen, und glaubte, dass jene, welche durch die Luft gehen können, Götter seien.“
(Ovid, Met. VIII 217–220)

Swetlana Gerner aber zeigt uns die Schöpfer-, Götter- und Retter-Figuren ganz aus der Nähe. Wenig glamourös, nackt, klein, von Vögeln gepackt, auf die perfekte Welle oder auf das Ende der Hitzewelle wartend – sie wirken eher müde als heldenhaft, gänzlich entmystifiziert. Die einzige Frau (Judith), die in der Ausstellung auftaucht, entfernt sich gerade aus dem Bild bzw. aus dem Narrativ; sie hat ihre Arbeit getan, nämlich einen Kriegshelden (Holofernes) demontiert, und eilt weiter (zur unbezahlten Care-Arbeit).Diese Suche nach Held:innen und Erlöser:innenfiguren, die vermeintlich „einfache“ Lösungen anbieten, ist ein aktuelles Thema – wenn man sich die weltweiten Wahlergebnisse ansieht, um nur die USA als allgegenwärtiges Beispiel zu nennen, und natürlich näher: Österreich. Weder Held:innen noch Gött:innen sind gefeit vor Hochmut, Eifersucht, Missgunst und Rachsucht. Nach Ovid nämlich ließen letztere Ikarus aus Rache sterben, weil Dädalus zuvor seinen eigenen Neffen und Schüler Perdix aus Neid auf dessen Kunstfertigkeit von der Akropolis gestoßen hatte.

Wenn es also vom Himmel – wie im Ausstellungstitel – „Männer regnet“, sind dies die talentierten ebenso wie die wagemutigen; auf jeden Fall sind es Männer, die – Ovid folgend – aus der Ferne für Götter gehalten werden können. Gerners Arbeiten thematisieren unser Bedürfnis nach diesen Held:innen und Retter:innen – und gleichzeitig die Problematik der menschlichen wie göttlichen Unzulänglichkeit.
In der ehemaligen DDR wurde die Figur des Ikarus gerne verwendet, um das Ende des Traums vom sozialistischen Heldentum zu thematisieren – ein Anti-Held und Gegenpol zu Spartakus. Die Regenpelerine steht Ikarus gut; sein Scheitern kennzeichnet ihn als menschlich. Im Grunde jedoch ist Ikarus nur ein Knabe, der es nicht besser weiß und ein tragisches Ende findet.
Ein Ort der Hoffnung und ebenso des Untergangs ist in Gerners Arbeiten – wie für Dädalus und Ikarus – das Meer. Es ist ein wiederkehrendes Thema in ihren leuchtenden Acrylbildern: Wir sehen Männer, die surfen gehen, um dabei dem Tod oder einem riesigen Adler zu begegnen, oder Männer, die am Strand die Boote schultern. Und wir sehen das Meer um Mallorca – in ruhigen Videos und in zarten Aquarellen in poetischen Farbtönen. Diese Idylle täuscht nur kurzfristig darüber hinweg, dass das Mittelmeer auch ein politischer Ort ist, in dem jedes Jahr zahlreiche Menschen ihr Leben lassen – auf der Suche nach einer besseren Zukunft. So ist das Wasser eine nahezu unüberwindbare, potenziell lebensgefährliche Barriere; gemeinsam mit dem Ikarus-Motiv steht es auch für das Zugrabe-Tragen einer Utopie der Freiheit.
In Sven Johnes Kleistners Archiv (2006) flieht Alfred Kleistner spektakulär aus Ostdeutschland, indem er durch das Meer in den Westen schwimmt. Swetlana Gerner wurde hinter dem Eisernen Vorhang, in Kiew, geboren und kam im Frühjahr 1992 als sog. „Kontingentflüchtling“ mit ihrer kleinen Tochter nach Frankfurt am Main – durch die Luft, allerdings nicht mit Hilfe selbstgemachter Flügel, sondern mit dem Flugzeug. Dass eine geglückte Flucht auch ein glückliches Ende findet, ist keine Selbstverständlichkeit: Kleistner ertränkte sich 1999 in genau jenem Meer, das er einst hoffnungsvoll überwand.

Eine für die Weltliteratur kaum zu überschätzende Flucht gelingt Stephen Daedalus, Held (und Alter Ego) von James Joyce in A Portrait of the Artist as a Young Man, der dem repressiven System der Römisch-Katholischen Kirche in Irland entflieht, um sich in Frankreich künstlerisch zu verwirklichen. Auf der letzten Romanseite verabschiedet sich Daedalus mit den Worten:
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Away! Away! The spell of arms and voices: the white arms of roads, their promise of close embraces and the black arms of tall ships that stand against the moon, their tale of distant nations. They are held out to say: We are alone – come. And the voices say with them: We are your kinsmen. And the air is thick with their company as they call to me, their kinsman, making ready to go, shaking the wings of their exultant and terrible youth.

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– Anna Reisenbichler & Kristian Faschingeder zur Ausstellung im sehsaal, 2024

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